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IVECO hat die Zukunft des Elektroantriebs im Fokus
Leichte Nutzfahrzeuge (zulässiges Gesamtgewicht bis 3,5 t) kommen insbesondere in den Bereichen Lieferdienste, Handel, Dienstleistungen, Baugewerbe sowie bei Handwerkern und kommunalen Betrieben zum Einsatz. Dadurch hat die Wirtschaftlichkeit der Nutzung allerhöchste Priorität. Faktoren wie Anschaffungspreis, Betriebskosten, Nutzungsdauer, Nutzraum und -last, Reichweite u. a. stellen – in Verbindung mit den infrastrukturellen Rahmenbedingungen – eine hohe Marktbarriere für den Einsatz elektrischer leichter Nutzfahrzeuge dar. Hinzu kommt, dass die politischen Vorgaben bis vor Kurzem noch nicht so stark wirkten, dass eine Trendumkehr beim Antriebssystem erforderlich war. Diese Schonfrist ist nun vorbei. Die jetzt durch die EU für 2025 und 2030 festgelegten Grenzwerte sind mit dem heutigen Antriebsmix nicht mehr zu erreichen; das Europäische Parlament hat ein Verbrennungsmotoren-Verbot für Personenwagen ab 2035 ausgesprochen, das CO₂-Gesetz in der Schweiz nimmt immer konkretere Formen an und dürfte in Kürze verabschiedet werden. Ähnlich verhält es sich auch bei den schweren Nutzfahrzeugen (zulässiges Gesamtgewicht ab 3,6 t). Auch dort sind mit dem VECTO-Programm Emissionsvorgaben zu erwarten. Dieses wird zu einem ähnlichen Marktdruck führen wie bei den leichten Nutzfahrzeugen. Emissionsstarke Fahrzeuge dürften so in Zukunft mit höheren Abgaben konfrontiert sein als emissionsarme Fahrzeuge.
Was sind die Hintergründe dazu und wohin geht die Reise? Thomas Rücker, Managing Director der IVECO (Schweiz) AG, informierte uns im Interview über die Updates und erzählte uns, wie sich der Schweizer Markt aus seiner Sicht entwickeln wird.
Thomas Rücker, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Elektromobilität in der Schweiz? IVECO wird 2023 den eDAILY auf den Markt bringen und weitere Modelle in der Produktpalette folgen.
Die Elektromobilität wird in Zukunft durch die Energie- und Emissionsstrategie des Bundes eine bedeutende Rolle spielen. Die Signale gehen in die Richtung, dass wir emissionsärmeren Verkehr benötigen, eine Entkoppelung von fossilen Energieträgern anstreben und damit unseren Netto-CO₂-Ausstoss als Gesellschaft deutlich reduzieren, damit wir unseren Planeten für folgende Generationen erhalten können. Ein elektrischer Antrieb am Rad ist für die Erreichung der Gesamtzielsetzung sinnvoll. Die Speicherfähigkeit der Energie auf Fahrzeugen ist sicherlich eine Herausforderung – insbesondere bei verschiedenen Anwendungen. Ich erwarte eine grosse Akzeptanz von batterieelektrischen Antrieben bei Personenwagen. Dort dürfte Elektro in wenigen Jahren einen Grossteil des Fahrzeugparks antreiben. Bei den Nutzfahrzeugen wird es hingegen eine nach Anwendung orientierte Antriebsform geben. Je nach Fahrzeugeinsatz werden sich also unterschiedliche Technologien durchsetzen. Kommunale Anwendungen werden einen anderen Trend verfolgen als Langstreckeneinsätze. Aufgrund dessen sind bei Nutzfahrzeugen auch Gasantriebe (Methan oder Wasserstoff) spannend, nebst der batterieelektrischen Anwendung. Denn letztlich ist die Speicherung der Energie auf dem Fahrzeug der Knackpunkt aufgrund der Energiedichte und der Einsetzbarkeit von Fahrzeugen. Es ist richtig, dass wir an der IAA 2022 den eDAILY lancieren. Die ersten Auslieferungen dürften Anfang 2023 folgen. Mit diesem neuen Produkt sind wir bereits in der dritten Generation von elektrisch angetriebenen Transportern und davon versprechen wir uns äusserst viel.
Welche Vorteile bringt der IVECO eDAILY im Alltag?
Unser neues Fahrzeug wird als Fahrgestell- und als Kastenwagen verfügbar sein. Zudem bieten wir alle Kabinenversionen und fast alle Radstände an. Ebenso können wir 3,5- bis 7,2-t-Lösungen anbieten und der Wagen verfügt über eine vollständige Anhängertauglichkeit. Unser Fahrzeug wird auch einen elektrischen Nebenantrieb haben, sodass Anbausysteme einfach integriert werden können. Des Weiteren sehen wir eine skalierbare Batterielösung vor, bei der ein Wagen auch um- und aufgerüstet werden kann. Unser Batteriekonzept umfasst Fahrzeuge mit einer bis drei Batterien und dementsprechend Reichweiten bei ca. 240 km. Diese Produkteigenschaften allein zeigen schon, dass wir einen multifunktionalen Ansatz verfolgen und uns auf die ganze Sortimentsbreite des IVECO Daily stützen. Damit wollen wir auch eine echte Alternative zum Dieselmotor anbieten und eine Grundlage für maximale Skalierbarkeit vorbereiten.
Auf diese Weise bekommen unsere Kunden mit dem eDAILY einen emissionsarmen Wagen, welcher hervorragend auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet ist und mit über 50 europäischen Aufbauherstellern entwickelt wurde. Die Fokussierung der Kundenbedürfnisse stand und steht im Vordergrund – das versteht sich von selbst. Nebst guten Produkteigenschaften und der Fahrzeugarchitektur bietet der Wagen aber auch erweiterte Telematik-Dienstleistungen, Parametrierungsmöglichkeiten mit einer Smartphone-Applikation, vorteilhafte Garantiefristen für die Antriebsbatterien und vieles mehr. Abgesehen von einem hohen Fahrkomfort und wenig Emissionsausstoss soll sich das neue Produkt zu einem guten Geschäftsbegleiter für unsere Kunden entwickeln. Dazu streben wir eine vollständige Vernetzung der Fahrzeuge an. Die damit gewonnenen Informationen können so auch Assistenzleistungen aus der Distanz ermöglichen und unsere Kunden sowie Fahrer bestmöglich in der Routenplanung unterstützen.
Das im Juni 2022 vom Europäischen Parlament beschlossene Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen wird sich auch auf die Schweiz auswirken. Wie entwickelt sich der Schweizer Markt für Elektroautos, und woher soll der Strom kommen, um all die Batterien in Zukunft zu laden?
Das vorerst für Personenwagen ausgesprochene Verbot wird auch Einfluss auf Nutzfahrzeuge zur Güter- und Personenbeförderung haben. Das steht für mich fest. Hingegen erwarte ich kurzfristig kein vollständiges Verbot, weil die Entwicklung bei den Nutzfahrzeugen noch nicht so weit vorangeschritten ist wie bei den Personenwagen. Aber es wird starken Druck auf die Branche auslösen. Durch das CO₂-Gesetz und eine spätere Anpassung der LSVA-Verordnung wird der Anteil an Elektrofahrzeugen exponentiell ansteigen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir innerhalb der nächsten 15 Jahre einen Penetrationswert von 30–35 % der jährlich neu in Verkehr gesetzten Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb erreichen werden. Aber parallel dazu werden sich auch andere Speicherformen als die Batterie für gewisse Anwendungen durchsetzen. Deswegen sehe ich dies als systemische Weiterentwicklung verschiedener Konzepte. Die Frage der Energieherkunft spielt in dieser Gesamtbetrachtung (in Bezug auf die Antriebe und die gesellschaftliche Erwartungshaltung) eine enorm grosse Rolle. Nachhaltigkeit heisst nicht bloss ökologisch, sondern auch nachwachsend oder regenerativ. Es geht also um einen bewahrenden Charakter der Ressourcen für die nachfolgenden Generationen. Insofern kann die Energiequelle nicht Strom aus fossilen Energieträgern sein, sondern es werden primär Photovoltaik, Gezeitenenergie, Windkraft, Laufwasserkraftwerke, Pumpspeicherkraftwerke etc. im Fokus stehen, um den Energiebedarf zu decken. Damit diese Energiequellen erschlossen und genutzt werden können, muss die Energiedistribution ebenfalls reibungslos funktionieren. Im Rahmen der wirtschaftlichen Landesversorgung ist auch dem Aspekt der Versorgungssicherheit ein Augenmerk zu schenken. Das alles führt dazu, dass wir den grossen Anteil elektrischer Primärenergie in irgendeiner Form speicherfähig machen müssen, damit alle Kriterien erfüllt werden können. Damit ist auch eine Prämisse dafür geschaffen, dass sich hybride Antriebssysteme entwickeln können, weil es nicht nur um Strom aus der Steckdose geht. Ich finde diese Überlegungen sehr spannend, weil sie uns als gesamte Gesellschaft betreffen. In der Mobilität ebenso wie im Bereich von Eigenheimen, Notversorgung und vielen anderen Aspekten. Klar ist, dass der grosse Anteil elektrischer Energie bereitgestellt werden muss – ohne eine adäquate Lieferbereitschaft wird sich der Antrieb auch nicht durchsetzen.
Wie steht die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern da? Wie sieht die nahe Zukunft mit Elektro-Nutzfahrzeugen und der Infrastruktur in der Schweiz aus?
Getreu den Schweizer Tugenden der Selbstständigkeit, der Sicherheit und der Stabilität fördert die Schweizerische Eidgenossenschaft die Eigenverantwortlichkeit ihrer Bevölkerung und ansässiger Unternehmen. Dazu gehört auch, dass sich neue Lösungen und Produkte selbstständig als marktfähig beweisen müssen und nicht von partikularen Förderstrategien, die durch Gruppierungen initialisiert werden, profitieren. Der Staat fördert so Infrastrukturlösungen in der Anfangsphase, damit sich Lösungen etablieren können. Und für Pilot- oder Leuchtturmprojekte gibt es Fördermittel. Aber es gibt keine flächendeckenden Anreize zur Marktverzerrung. In diesem Punkt unterscheiden wir uns ganz deutlich von anderen Ländern, die hier massive Investitionsprogramme freigegeben haben, um Anreize für die Wirtschaft zu setzen. Ich erwarte nicht, dass der Bundesrat oder unser Parlament hier eine Abkehr von der bisherigen Strategie verlauten lässt. Daher ist die Wirtschaft – beispielsweise unser Unternehmen – gefordert, eine für den Markt geeignete Lösung zu entwickeln. Dies erzeugt für uns zwar Druck, macht uns aber eben auch selbstständig und ermöglicht ein langfristig gut funktionierendes Gesamtrahmenwerk.
In der Schweiz hat sich durch den starken Boom von Elektro-Personenwagen bereits eine Grundversorgungsinfrastruktur mit ungefähr 6'500 Ladestationen (Quelle: swisscharge.ch) entwickelt. Dazu gehören auch Ladestationen entlang der Hauptverkehrsachsen. Aufgrund der technischen Eigenschaften der Ladestationen und auch der Verfügbarkeit von Industriesteckdosen mit 32‑A‑Absicherung dürften in Kürze viele Ladestationen mit Ladeleistungen bis zu 22 kW zur Verfügung stehen. Für Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge bedeutet das, dass Fahrzeugbatterien in ca. zwei Stunden 100 km Reichweite aufnehmen können. Bei schweren Nutzfahrzeugen reicht diese Ladeleistung in keiner Art und Weise. Dort müssten Ladeleistungen mit 50 kW flächendeckend zur Verfügung stehen, damit Transporter innerhalb einer Stunde 100 km Reichweite aufnehmen oder schwere Nutzfahrzeuge innerhalb nützlicher Frist nachgeladen werden können. Diese Nachladeleistung für die Autonomie und Einsetzbarkeit der Fahrzeuge wird einen limitierenden Faktor für den batterieelektrischen Antrieb darstellen. Wenn die Einsatzbedingungen der Fahrzeuge nicht zu dieser Ladeinfrastruktur passen, wird sich die Technologie kaum durchsetzen, und Alternativen finden guten Grund, um sich zu entwickeln.
Daraus lässt sich ableiten, dass (nebst Personenwagen) leichte Nutzfahrzeuge eine hohe Marktakzeptanz finden werden. Für all diejenigen, die tägliche Einsatzdistanzen von <150 km bewältigen müssen, könnten batterieelektrische Antriebe infrage kommen. Dies betrifft den grössten Teil des Agglomerationsverkehrs. Ich erwarte, dass sich das Volumen elektrischer Antriebe jährlich um rund 10 % steigern und somit einen progressiven Anstieg haben wird. Das Potenzial für diese Antriebsform würde ich mittelfristig für den Gesamtfuhrpark auf 30–40 % ansetzen – also schnell ein hohes Volumen. Wie bereits vorgängig erwähnt, ist für mich aber auch klar, dass sich nebst batterieelektrischen Lösungen auch noch andere Varianten entwickeln werden. Dazu gehören auch gasförmige Treibstoffe (Wasserstoff oder Methan).
Sie sprachen bereits bei einigen Präsentationen davon, dass die Entwicklung rasant weitergehen könnte. Wie gross wird der Elektro-Anteil im Jahr 2030 (für leichte Nutzfahrzeuge) sein?
Diese Einschätzung ist von vielen Dingen abhängig. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir in 3 bis 4 Jahren in der Schweiz einen Volumenanteil von 20 % an elektrisch betriebenen Transportern in Verkehr setzen werden. Bis ins Jahr 2030 könnte der Anteil dann durch Verbesserung von Infrastruktur und Energiespeicherung auf 40 % des Gesamtvolumens erhöht werden. Falls sich noch wasserstoffelektrische Fahrzeuge kurzfristig marktfähig entwickeln, könnte jener Anteil auch nochmals 10 % im Jahr 2030 betragen. Wenn das politische Umfeld den Verbrennungsmotor auch für Nutzfahrzeuge verbieten würde, dann zöge diese Entwicklung bedeutend stärker an. In jeden Fall sind wir mit unserem Produkt und den sich daraus entwickelnden Möglichkeiten bestens auf diese zukünftige Nachfrage vorbereitet.
Wie entwickelt sich der Markt für den eDAILY in der Schweiz?
Ich erwarte, dass wir nächstes Jahr bereits 100–150 batterieelektrische Transporter in Verkehr bringen können. Ich bin mir sicher, dass der Markt nun für diese Produkte und Anwendungen bereit ist. Als wir vor über 10 Jahren mit der ersten Generation des eDAILY auf den Markt kamen, war er dafür noch nicht bereit. Im Jahr 2021 wurden rund 250 elektrisch betriebene leichte Nutzfahrzeuge ausgeliefert. Ich erwarte, dass diese Zahl 2024 auf über 500 ansteigen wird. Insofern befinden wir uns gerade in einer Phase der Trendwende bzw. vor einem sich einstellenden Megatrend in der Mobilität. So wie die Antriebstechnik vor rund 100 Jahren vom Pferdefuhrwerk zum Automobil führte, so verändert sich nun die Antriebstechnik. Alles in allem eine spannende, aber auch sehr herausfordernde Zeit. Ich freue mich darauf, mich mit meinen Mitarbeitenden darauf einzustellen, vorzubereiten und günstige Voraussetzungen zu schaffen.
Was sind die grössten Treiber dieser Entwicklung?
Staatlicher Druck, gesellschaftliche Akzeptanz, Versorgungssicherheit und leistungsfähige Produkte.Es gibt noch viel zu tun – doch trotz der vielen positiven Entwicklungen bei der Elektromobilität bestehen auch nach wie vor Herausforderungen, die es noch zu meistern gilt. Leider ist es so, dass das Barometer der erneuerbaren Energien beispielsweise zeigt, dass viele Menschen den Einfluss der Mobilität auf den Klimaschutz nicht kennen. Eine im Rahmen des Barometers durchgeführte Umfrage ergab, dass nur 24 % der Schweizerinnen und Schweizer bewusst ist, dass sich CO₂-Emissionen durch nachhaltige Mobilitätsformen wie die Elektromobilität senken lassen.
Schauen wir gespannt auf die Entwicklung in den kommenden Monaten, Herr Rücker, und vielen Dank für dieses interessante Gespräch.